„Das System Fahrzeug und die weltweite Ladeinfrastruktur müssen langfristig BiDi-fähig sein“

Experteninterviews – Freitag, 03. September 2021

Experteninterivew mit Martin Roemheld, Head of e-Mobility Services der Volkswagen AG. Der Brancheninsider gibt einen exklusiven Ausblick auf das Laden von Morgen.

„Das E-Auto ist das bessere Automobil“ – mit dieser Aussage hat sich Volkswagen als etablierter OEM konsequent zu Elektromobilität bekannt, auch im Bereich der Nutzfahrzeuge. Zur Erreichung der Klimaneutralität hat die Europäische Kommission im Juli einen überarbeiteten Vorschlag für schärfere CO2-Ziele für neue Pkw und Transporter vorlegt. Als Vorreiter der Branche, mit welchen Maßnahmen wird Volkswagen diese Ziele erreichen und wie sehen Ihre Pläne für klimaneutrale Mobilität aus?

Roemheld: Volkswagen sieht in der E-Mobilität künftig nicht nur das Fahrzeug, sondern beschäftigt sich zudem intensiv mit dem Umfeld, also der Ladeinfrastruktur, den Ladediensten, aber auch mit neuen, innovativen und nachhaltigen Produkten wie z.B. mit einem eigenen Grünstromangebot. Dafür ist Volkswagen am Aufbau von Ladeinfrastruktur beteiligt, die mit 100% Grünstrom gespeist wird. Um eine flächendeckende, klimaneutrale Mobilität zu ermöglichen, arbeitet Volkswagen europaweit mit starken Partnern wie Enel, Iberdrola oder auch BP zusammen.

Was davon wird bei Volkswagen intern umgesetzt (Stichwort klimaneutrale Produktion und Lifecyle-Management, Erneuerbare Energien, Ende des Verbrennungsmotors) und bis wann?

Roemheld: Als klarer Vorreiter ist das Werk Zwickau zu nennen. Der ID.3 und der ID.4 werden dort bilanziell klimaneutral produziert. Ziel ist es jedoch, bereits früher in der Wertschöpfungskette aktiv zu werden. Zudem sind große Teile der Liegenschaften bereits heute mit Photovoltaik ausgestattet. Regenerative Energien spielen also eine große Rolle.

Während sich viele Unternehmen wegen der Pandemie zurückhaltend zeigen, steigen die Zulassungszahlen von E-Autos und der Ausbau von Ladeinfrastruktur weltweit rasant an. VW hat Tesla als Platzhirsch teilweise verdrängt. Welches sind ihrer Meinung nach die Features, welche die Early Majority in den kommenden 2 Jahren weiter vom BEV überzeugen werden?

Roemheld: Steigende Alltagstauglichkeit und Erstfahrzeugfähigkeit des Systems: Reichweiten und Ladeleistungen der Fahrzeuge steigen und der kontinuierliche Ausbau der Infrastruktur geht entsprechend mit. Die Early Adopters, also die ersten E-Fahrzeug Kunden, haben meist einen eigenen Ladepunkt daheim. Der schnelle Ausbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur ermöglicht es nun aber auch ohne eigenen Ladepunkt reinelektrisch zu fahren. Das ist eine wichtige Entwicklung, um die Early Majority zunehmend vom BEV zu überzeugen.

In der Fachwelt wird für 2030 prognostiziert, dass der Großteil des Ladens, rund 80%, im privaten Raum stattfinden wird. Die öffentliche Ladeinfrastruktur ist dazu eine erforderliche Ergänzung, aber oft kostenintensiver. Was muss also passieren, damit wir den erforderlichen Ladeinfrastruktur-Ausbau erreichen?

Roemheld: Diese Annahme möchte ich zunächst einmal in Frage stellen. Nur etwa die Hälfte aller Menschen in Deutschland sind erwerbstätig, ergo könnten sie auch nicht bei der Arbeit laden. Beim Thema Wohnen wird es noch deutlicher: 77% aller Menschen wohnen im urbanen Raum. Die Anzahl der Einfamilienhäuser ist dort deutlich geringer als die Zahl der Mehrfamilienhäuser. Letztere verfügen selten über Stellplätze. Wir gehen davon aus, dass der Anteil der sogenannten Laternenparker, also der Fahrzeugnutzer ohne eigenen Stellplatz, bei 50-60% Durchdringung liegt und damit deutlich relevanter wird. Aus obigen Gründen sehen wir den privaten Anteil beim Laden für 2030 eher bei 40-50%. Um das jedoch zu erreichen, muss die öffentliche Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut werden. Mit steigender Auslastung der Ladeinfrastruktur werden aus meiner Sicht auch die Preise für die Energie weiter fallen.

Die Reichweiten, die die Kunden (von Privat- bis Dienstfahrzeug) für ihr E-Auto wünschen gehen weit über den täglichen Bedarf von durchschnittlich 50 km pro Tag hinaus. Über das Konzept von Vehicle2Grid kann die enorme, ungenutzte Speicherkapazität der Fahrzeuge nutzbar gemacht und künftig für Netzstabilität sorgen. Wie ist der Status Quo bei VW bzgl. V2G?

Roemheld: Wir teilen die Einschätzung des Potentials. Nicht nur bzgl. der Netzstabilität, sondern wir glauben, dass das Fahrzeug diverse neue Aufgaben und Nutzungsmöglichkeiten erfüllen bzw. entwickeln wird. Bidirektionales Laden wird eine komplett neue Nutzungswelt des E-Fahrzeugs auftun.

Welche Infrastruktur erfordert die Umsetzung von Vehicle2Grid auf Systemebene?

Roemheld: Das System Fahrzeug und die weltweite Ladeinfrastruktur müssen langfristig BiDi-fähig sein. Behind-the-Meter Optimierung in der Immobilie des Kunden, Over-the-Meter aus der Immobilie in den Markt hinein. Das breiteste Anwendungsfeld wird jedoch das des Vehicle2Load sein. Also, dass das Fahrzeug zur mobilen Powerbank wird.

Aktuellen Studien, die unter anderem auch von Nissan und EON initiiert wurden, zeigen auf, dass ein jährliches Sparpotenzial für den Betrieb des Stromnetzes in Höhe von über 13.000 Euro je Elektroauto besteht und auch die Verringerung des CO2-Ausstoßes von gut 60 Tonnen pro Jahr und E-Auto erreicht werden könnte. Welche weiteren Vorteile bietet V2G?

Roemheld: Genau richtig, wir können über einen großen Pool an Fahrzeugen künftig Netzspitzen ausgleichen und folglich großen Verbrauchern immense Kosten abnehmen. Das wiederum generiert natürliche Erlöspotentiale für den E-Autofahrer, der entsprechend davon profitiert. Außerdem sehen wir die Möglichkeit, dass die Autos genau dann geladen werden können, wenn der maximale Anteil an Grünstrom in das Netz eingespeist wird und die Fahrzeuge bei Bedarf auch wieder ausspeisen können.

Grundsätzlich öffnet diese Technologie Türen für den Markt und wir sehen der Zukunft sehr positiv entgegen. Was der Markt in 10 oder 15 Jahren allerdings konkret anbieten und auch nachfragen wird, können wir heute nur mutmaßen.

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