Flexibilität im Stromsystem: Drei Anwendungstrends

Trendpapier – 11. April 2023

Für den sicheren und stabilen Betrieb unseres Stromnetzes muss die zunehmend wetterabhängige Stromerzeugung mit einem schwankenden Verbrauch ins Gleichgewicht gebracht werden.

Flexibilität wird im Stromsystem daher immer wichtiger, um auf Änderungen in der Nachfrage und Produktion schnell zu reagieren. Sie beugt teuren Engpass-Eingriffen vor und sorgt für eine sichere Versorgung mit volatiler Photovoltaik- und Windenergie. Dadurch kann der Bedarf an zusätzlichen, teuren steuerbaren Kraftwerken zur Absicherung des Angebots reduziert werden. Im Ergebnis lassen sich so die Kosten des Stromsystems deutlich senken im Vergleich zu einem System, in dem die Verbraucher unflexibel sind. Vor allem bei den privaten und industriellen Verbrauchern lässt sich Flexibilität schnell und kostengünstig aktivieren.

Wir zeigen drei Anwendungstrends.

1) Netzeingriffe reduzieren: StromApps sensibilisieren bei Engpässen

Weltweit sind mittlerweile Apps im Einsatz, die Verbraucher bei Netzengpässen oder Erzeugungsengpässen informieren und zum Stromsparen aufrufen. Einige Apps belohnen ihre Nutzer sogar für das Energiesparen, während andere nur informieren. In beiden Fällen vermeidet ein auf die Netzauslastung oder die Erzeugung angepasster Verbrauch teure Eingriffe und spart damit Kosten sowie CO2.

Neben den USA, Großbritannien und weiteren Ländern hat auch Deutschland mit der StromGedacht App des baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW seit kurzem Erfahrungen damit gesammelt. Dazu nutzt die App ein einfaches Ampelsystem. Sagt die Prognose eine angespannte Situation für Baden-Württemberg vorher (Ampel steht auf rot), bittet die App via Push-Nachricht um Mithilfe. Schon vermeintlich kleine Maßnahmen wie das Verschieben eines Waschgangs oder das vorzeitige Laden eines Akkus können in Summe dazu beitragen, Netzeingriffe zu reduzieren.

Da private Haushalte in Deutschland rund ein Viertel des Stromverbrauchs ausmachen, ist das Potenzial zur Netzstabilisierung enorm.

Einem Netzbetreiber im US-Staat Kalifornien ist es mittels einer Warn-SMS im September 2022 gelungen , einen Stromausfall abzuwenden. Die Menschen wurden darin aufgefordert, den Energieverbrauch drei Stunden lang einzuschränken.

2) Lastflexibilität: Industriekunden verschieben ihren Energieverbrauch

Besonders große Flexibilitätspotentiale lassen sich bei den industriellen Verbrauchern heben. Diese verfügen schon jetzt über Energiemanagementsysteme. Industriekunden können die Flexibilität ihrer Verbrauchsanlagen am Großhandelsmarkt, insbesondere den kurzfristigen Märkten, anbieten. So wird der Stromverbrauch aus industriellen Prozessen an Anforderungen der Netzbetreiber oder Preissignale angepasst, ohne dass die Produktivität dadurch eingeschränkt wird.

Gibt es einen Bedarf für Regelenergie, schaltet etwa eine Papierfabrik ihre Produktion kurzfristig ab und verschiebt sie stattdessen auf einen späteren Zeitpunkt. Aluhütten können z.B. bis zu einer Stunde lang abgeschaltet werden, ohne Schaden zu nehmen. Dabei handelt es sich längst nicht mehr um Einzelfälle. Aggregatoren bündeln diese Flexibilitätskapazitäten unterschiedlicher Unternehmen: Per Hard- und Software binden sie einzelne Pumpen, Maschinen und Anlagen in ein virtuelles Kraftwerk ein. Vorreiter sind die Papierhersteller sowie die Alu- und Chemieindustrie.

Das Bereitstellen von Flexibilität lohnt sich für die Unternehmen auch finanziell, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen stimmen.

3) Bidirektionales Laden: Elektroautos als gigantischer rollender Speicher

Auch die wachsende Zahl an Elektroautos birgt in Summe ein immenses Potenzial für Flexibilität. Durch bidirektionales Laden, also den Energieaustausch in beide Richtungen, kann der im Auto zwischengespeicherte Strom bei Bedarf flexibel in das Gebäude oder ins Netz zurückfließen.

Beim Vehicle-to-Home wird der Strom aus der Fahrzeugbatterie in das Gebäude bzw. an das Energiemanagementsystem zurückgeführt. Haushalte mit einem Elektrofahrzeug und einer eigenen PV-Anlage schonen die Umwelt und ihr Budget. Denn das Elektroauto kann per Wallbox direkt mit selbstproduzierter Sonnenenergie geladen werden.

Beim Vehicle-to-Grid wird der Strom aus dem Elektrofahrzeug über die Wallbox in das Verteilnetz zurückgespeist. Der Verbraucher hat dadurch keine Komforteinschränkungen und erhöht seine Unabhängigkeit von seinem Energieversorger. Das Elektrofahrzeug agiert als Teil des energiewirtschaftlichen Gesamtsystems, indem es seine gespeicherte Energie genau dann zurückspeist, wenn sie benötigt wird. Mobile Speicher werden schon bald maßgeblich dazu beitragen, Preissprünge zu minimieren und den Einsatz teurer steuerbarer Kraftwerke zu reduzieren.

Durch das heute schon mögliche punktgenaue Laden von Überschüssen wird dieses Potenzial nutzbar.

Ausblick: Flexibilität wird zur zentralen Währung im Energiesystem

Parallel zum beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau braucht es mehr Flexibilität im Energiesystem, um Sonnen- und Windspitzen kurzfristig abzufedern. Flexibilität wird die zentrale Währung im Energiesystem der Zukunft.

Bei den Haushalten wird das Potential in den nächsten Jahren durch die Elektromobilität und die vermehrte Nutzung von Wärmepumpen schnell zunehmen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bis 2030 sollen nach den Zielen der Bundesregierung sechs Millionen Wärmepumpen installiert sein. Für das Energiesystem ist das, verbunden mit einer klugen Digitalisierung, eine enorme Chance: Wenn diese neuen Anlagen flexibel auf die Erzeugung aus Wind- und Solarenergie abgestimmt sind, werden die Erneuerbaren optimal genutzt und die Energiekosten für die Verbraucher gesenkt. Zusätzlich kommen neue Player wie Speicherbetreiber oder Wasserstoff-Elektrolyseure auf den Markt.

Wir werden deshalb schon in wenigen Jahren ein insgesamt sehr großes Potential an Flexibilität haben. Benötigt wird dafür ein Rechtsrahmen, der systemdienliche Flexibilität auch aktiviert. Schließlich werden Flexibilitätspotenziale am effizientesten genutzt, wenn sie marktbasiert erschlossen und regulatorische Vorgaben flexibilitätsfreundlich ausgestaltet werden.

Flexibilität im Stromsystem auf der EM-Power Europe

Die EM-Power Europe vom 14.–16. Juni in München bietet zur Flexibilisierung von Stromsystemen umfangreiche Informationen. Mit zahlreichen Ausstellern sowie Sessions im Rahmen der EM-Power Europe Conference und dem EM-Power Forum erhalten Fachbesucher einen umfassenden Einblick in neue Marktkonzepte, Innovationen und Lösungsansätze hinsichtlich der Gestaltung von flexiblen Energiesystemen.

Hier geht’s zur vollständigen Ausstellerliste der EM-Power Europe.

Über die Trendpapiere

Unsere Trendpapiere bieten Ihnen Hintergründe und aktuelle Entwicklungen in ausgewählten Bereichen der neuen Energiewelt. Jedes Trendpapier steht auch als PDF-Version zum Download zur Verfügung. Die Übersicht über alle Trendpapiere finden Sie auf der Website von The smarter E Europe.

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