Die Energiebranche erlebt einen tiefgreifenden Wandel: die fossilen Großkonzerne werden zu Akteuren der elektrischen Mobilität. Laut einer aktuellen USCALE Studie erreichen Mineralölunternehmen in sechs europäischen Kernländern bereits über 20 Prozent Marktanteil bei öffentlichen Ladestationen.
Sie übertreffen damit erstmals spezialisierte Ladesäulenbetreiber (Charge Point Operator oder kurz CPOs).
Unternehmen wie Shell, BP, Aral Pulse, und TotalEnergies wandeln ihre Tankstellen zu multifunktionalen Energie-Hubs um Schnellladeinfrastruktur, Solardächer und Batteriespeicher zu inkludieren. Ihre Premiumstandorte, die ausgeprägte Markenbekanntheit und die breite Nutzung von Tank- und Ladekarten ermöglichen diesen Konzernen eine zügigere Inbetriebnahme und vor allem eine deutlich bessere Auslastung der Ladeinfrastruktur im Vergleich zu vielen reinen CPOs, auch wenn der Ausbau zum Teil durch gesetzliche Vorgaben verpflichtend wurde.
Während spezialisierte Betreiber mit hohen Investitionskosten und begrenztem Zugang zu attraktiven Flächen kämpfen, nutzen Mineralölkonzerne ihre Bestandsimmobilien, Logistikstrukturen und Servicekompetenz. BP Pulse baut gemeinsam mit APCOA Parking über 100 Schnelllade-Hubs mit Standorten in Deutschland, Österreich, Belgien und in den Niederlanden. TotalEnergies erhielt in Deutschland den Auftrag zum Ausbau des „Deutschlandnetz“ mit 1.100 Schnellladepunkte an 134 Standorten. Außerdem übernahm das Unternehmen in Spanien 200 Schnell- und Ultraschnelllade-Standorte von einem anderen Unternehmen und ist in Frankreich mit 1.000 HPC-Ladepunkten ein führender Anbieter bei Ladepunkten. Die Beispiele zeigen, dass die klassischen Tankstellenbetreiber europaweit zum wichtigen Player der Ladeinfrastruktur werden. Aus Tankstellen werden Energie-Hubs.
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Vertrauen ist entscheidend für die Akzeptanz von Ladediensten. Kundinnen und Kunden bevorzugen Marken, die sie kennen und denen sie technische Zuverlässigkeit zutrauen. Energieversorger und Ölkonzerne profitieren dabei von ihrem bestehenden Markenimage und der jahrelangen Vertrautheit klassischer Servicestandards.
Gleichzeitig wandelt sich die Erwartungshaltung der Kundinnen und Kunden. Ladeinfrastruktur soll nicht nur Strom liefern, sondern intelligent mit Stromnetz und Nutzeralltag interagieren. Digitale Bezahlsysteme, smarte Ladezeiten und dynamische Tarife werden zum Standard. Hier zeigt sich der Vorteil integrierter Anbieter, die Energie, IT und Kundenservice aus einer Hand liefern können.
Tankstellen entwickeln sich zu Lade- und Erlebnisorten, Energieversorger agieren zunehmend als digitale Knoten für Energie- und Mobilitätsservices, und das Auto verbindet effiziente Mobilität mit Entertainment und einer aktiven Rolle im Stromnetz. Die Mobilitätstransformation ist damit nicht nur eine technologische, sondern auch eine kulturelle Transformation. Dies wurde von den etablierten Betreibern erkannt und genutzt.
Gleichzeitig zeigt die Erfahrung aus vergangenen Transformationsphasen: Der Wandel gelingt nur, wenn er strategisch verankert und langfristig verfolgt wird. In der Vergangenheit haben etablierte fossile Energieunternehmen neue Geschäftsfelder teils wieder aufgegeben, sobald Renditen hinter den Erwartungen zurückblieben. Damit die aktuelle Entwicklung nachhaltig wirkt, braucht es Kontinuität, Investitionsbereitschaft und die Bereitschaft, neue Geschäftsmodelle auch über Renditezyklen hinweg zu tragen.
Die Zukunft der Mobilität entscheidet sich somit nicht allein an der Ladeinfrastruktur oder am technologischen Fortschritt, sondern an der Verlässlichkeit der Akteure, die sie gestalten. Wenn Politik und Unternehmen den eingeschlagenen Kurs beibehalten und ihre Strategien konsequent weiterentwickeln, kann daraus ein dauerhafter Beitrag zur Energiewende entstehen.